Argentina/Chile: Wir erobern den Norden

Written by Martin on Juni 10th, 2012. Posted in Allgemein

Sebastian: Da fahre ich also dahin Richtung Argentinien. Martin habe ich gen Santiago ziehen lassen, wo er Eva Uno (ihr wisst schon, seine Freundin 😉 ), überraschen möchte, da sie gerade beruflich vor Ort ist. Das Servicieren der Bikes hat ein wenig länger gedauert, weshalb ich nun ein wenig spät dran bin. Das ist vor Allem deshalb schade, da der Pass über den ich die Grenze überquere erst vor einem Jahr vom Vulkan Puyehue komplett eingeäschert wurde und es mich natürlich interessiert hätte wie die Gegend nach dieser Geschichte aussieht. Es wird allerdings schon düster, als ich an der Grenze ankomme (wo ich dann zufälligerweise 3 argentinische Mädels wieder treffe, die wir während der Schifffahrt nach Puerto Montt kennengelernt hatten). Obwohl ich an diesem Tag eigentlich Bariloche erreichen wollte, von dem uns schon oft vorgeschwärmt wurde, mache ich schon in Villa La Angostura halt, da mir beinahe die Augen zufallen. Von dort aus plane ich die Ruta de los 7 Lagos in Angriff zu nehmen, was mir anfangs so gar nicht gelingen will…

Nach einer eher unruhigen Nacht packe ich früh morgens meine Sachen und mache mich auf den Weg – ich will heute so weit wie möglich gen Norden ziehen, damit ich in der Folge eventuell für den ein oder anderen Abstecher Zeit habe, bevor ich Martin in 4 Tagen in Mendoza wieder treffe. Wie schon im letzten Bericht erwähnt, hatten wir gerade neue Reifen und „Heavy duty“ Schläuche montiert bekommen, weswegen ich nun mit ruhigem Gewissen und ohne Angst die Schotterpiste Richtung San Martin de los Andes unter die Pneus nehme. Die Straße ist wirklich wunderschön und das Wetter passt auch wieder. Also eigentlich alles bestens, als ich ungläubig wieder so ein eierndes Fahrverhalten bemerke und mir denke, dass es das ja jetzt wohl nicht sein kann… Ich stelle das Motorrad am Fahrbahnrand ab und meine Vorahnung wird bestätigt… wie das „kleine Arschloch“ (keine Ahnung wer von Euch dieses Comic kennt…) blickt mir ein Nagelkopf entgegen und schreit „Pfrrrrzzzzz, da bin ich wieder!“ Er ist verdammt groß, aber als ich den Nagel aus dem Reifen ziehe, traue ich meinen Augen nicht – ein 10 cm langes, verrostetes Ungetüm kommt zu Vorschein.

Ich muss schon zugeben, in diesem Moment scheint mir die Situation wie eine perfekte Übung des „Ruhig bleiben, alles wird gut“ mit der ich allerdings kurz zu kämpfen habe, bevor ich mich erfange und voll positiver Energie (wer’s glaubt 😛 ) daran mache, meine tonnenschwere Lady auf den Hauptständer zu wuchten… aber siehe da, ich schaffe es ums Verrecken nicht! Der Hauptständer gräbt sich im Schotter ein und durch den platten Reifen liegt die KTM um ein paar Zentimeter tiefer als normal, was auch nicht gerade hilft. Trotz meiner Herkuleskräfte (wer meine Astln schon mal live gesehen hat, weiß wovon ich spreche 🙂 ) geht genau gar Nichts. Als meine Mukis dann beschließen, den Betrieb vollständig einzustellen und stattdessen einfach nur mehr zu schmerzen bleibt mir also nichts Anderes übrig, als jemanden aufzuhalten und niedergeschlagen zuzugeben, dass ich Hilfe benötige…Gesagt getan, die Holde steht durch fremde Kraft endlich so da, wie es notwendig ist, um den Hinterreifen zu demontieren. Gerade als ich damit fertig bin, fährt dann Gott sei Dank ein sehr netter Herr mit Sohnemann vorbei und hält an – auf seinem Pickup stehen zwei Motorcross, somit hoffe ich, dass er Verständnis für meine missliche Lage hat und mich zurück nach Villa L a Angostura nimmt. Genau so ist es auch und in Nullkommanix bin ich beim nächsten Reifenflicker angelangt, der glücklicherweise den Reifen problemlos wieder auf Vordermann bringt.

So, was jetzt ist die nächste Frage? Ich bin mit Reifen und meinem Gepäck (das Motorrad musste ich ja stehen lassen und wollte nicht unnötig Risiko einlassen und meine Taschen montiert lassen) bewaffnet unterwegs und benötige jemanden, der mich die 20 Kilometer zurück bringt,… am besten gratis. Der Plan ist schnell ausgefeilt – ich stelle mich einfach zur Tankstelle und frage jeden der vorbeikommt, ob er nicht in „meine“ Richtung fährt. Kann doch nicht so schwer sein, denke ich mir und muss auf eine Neues lernen, dass der Mensch dazu gemacht ist zu irren. Rund 50 Autos an der Tankstelle, sicherlich 100 mal Daumen hoch am Straßenrand und 4 Stunden später fange ich an ein wenig an meiner Strategie zu zweifeln, als mich endlich ein silberner Wagen anblinkt. Es handelt sich dabei um einen Vater plus Familie, den ich vor ein paar Stunden an der Tankstelle schon angesprochen hatte. Er ist zurückgekommen, um herauszufinden, ob mich wer mitgenommen hatte beziehungsweise – falls dem nicht so sei – um mich selbst zum Motorrad zurückzubringen.

Ich danke ihm aufrichtigst und bin endlich wieder bei meiner Schnecke, als es langsam anfängt dunkel zu werden. Das Hinterrad montiere ich mittlerweile blind, im Schlaf, mit Augenbinde, ohne Hände und sogar die hinter dem Rücken gebunden – ganz im Wetten Dass Stil :). Nachdem diese heutige Zusatzaufgabe endlich erledigt ist fahre ich nun fix und fertig über die Straße der 7 Seen, die eigentlich wunderschön sein soll – nur lässt sich das kaum mehr erkennen. Als ich schließlich in San Martin de los Andes ankomme, steigt dann ein mächtiger Mond hoch und ich erfreue mich seines Anblicks als ich durch die Straßen zuckelnd eine Unterkunft suche. Ich steige in einem Youthhostel ab in dem ich das Zimmer mit einem ausgesprochen lustigen Argentinier teile. Federico tritt gleich mal nackt aus dem Badezimmer (er wusste nicht, dass ich da bin) um, wie eine kleine Lady kreischend, sofort wieder die Tür zu schließen. Nach 2 Sekunden reißt er sie dann abermals kurz auf und meint: „ DU hast mich aber erschreckt!!!“. „Ja, Du mich aber auch mein Guter, das kannst Du mir glauben“, denke ich mir schmunzelnd. Nachdem er mir dann zur Begrüßung gleich nen Kuss auf die Wange aufdrückt, weiß ich, dass ich es mit einem liaben Kerl zu tun habe :)). Wir gehen dann noch gemeinsam essen und bei einer herzlichen Unterhaltung erfahre ich viel über das Land und seine jüngere Geschichte, die von Militärputschen und Diktaturen geprägt war und nach wie vor von vielen offene Wunden gezeichnet scheint. Bis heute treffen sich beispielsweise jeden Donnerstag Mütter von während der letzten Militärdiktatur verschwundener Kinder um in Stille gegen das, wenn auch schon lange abgesetztes Gewaltregime zu protestieren.

Die nächsten Tage bin ich dann ständig auf Achse, da mir die Zeit nach dem Reifenmalheur ein wenig knapp wurde. Die Fahrt ist zwar schön, anfangs allerdings auch ein wenig verregnet. Als ich dann einen Pass nahe der chilenischen Grenze überquere fabriziere ich gleich wieder  ein Gustostückerl :). Der Pass ist traumhaft schön, allerdings sehr abgelegen und deshalb kaum befahren. Durch die Reifenpanne ein wenig verunsichert, hoffe ich inständig, dass mir das nicht hier noch einmal passiert und fahre mit gekreuzten Fingern und mir selbst die Daumen drückend durch die Gegend. Just als ich ca einen Kilometer vor mir einen LKW sehe passiert es dann… Im Gedanken überhole ich den Truck lässig und fühle mich damit auf der sicheren Seite, sollte nämlich nun etwas passieren, kann ich sicher sein, dass ich nicht ganz alleine in the middle of nowhere hängen bleibe. Problematisch ist in dieser Situation allerdings, dass ich genau durch dieses Gedankenspiel die Konzentration verliere und mit Vollgas in die nächste Kurve brettere. Mehr hat es nicht gebraucht, auf dem Sand ist keine Schräglage mehr zu machen und ich versuche mit „gefühlvollem“ Bremseinsatz noch das Unvermeidliche zu vermeiden… mit mäßigem Erfolg. Kawoom, schon liegt die Lady wieder einmal am Boden nachdem ich eine gut 15 Meter lange Furche in den feuchten Boden geackert habe. Zum Glück ist die Gute ein wenig geneigt zu liegen gekommen, wodurch ich es – unter herzzerreißendem Aufschrei meiner vom Vortag noch lädierten Oberarme – gerade noch schaffe, sie wieder aufzustellen. Zeit für einen tiefen Schnaufer und ein wenig Glücksgefühl, dass der Blödsinn gerade noch gut gegangen ist :).

Nach 4 Tagen der Trennung treffen Martin und ich einander also in Mendoza wieder, von wo wir nun gemeinsam die Ruta 40 Richtung Norden  entdecken werden. Wer sich jetzt eine ausführlich Schilderung etwaiger Weinverkostungen erwartet, den muss ich leider enttäuschen, das war irgendwie nicht drinnen :). Über die Zwischenstationen Cafayate und Cachi erreichen wir über den atemberaubenden und 4900 Meter hohen Abra el Acay Pass San Antonio de los Cobres, wo der berühmte „Tren de las Nubes“ (dritthöchste Zugstrecke der Welt, welche die Reisenden durch die malerische Landschaft entlang der Strecke beeindruckt) seine Endstation hat. Die Fahrt bis hierher ist atemberaubend schön.

Kurz nach Cafayate fängt die Landschaften an, schon fast unwirklich zu sein, weite Ebenen, Canyons, Kakteen, tiefblauer Himmel, Wasserdurchfahrten erster Güte und Hügel die in allen Farben leuchten… uns stehen die Münder weit offen. In Cachi, einer kleinen wirklich schön erhaltenen Ortschaft, werden wir dann auch noch von einer Gruppe Reisenden angesprochen, deren Bus mit Getriebeschaden hängen geblieben ist. Anstatt mit grimmiger Miene und raunzend herum zu stampfen sind alle bester Laune und amüsieren sich köstlich auf dem Hauptplatz während Einige unsere „Dakar Bikes“ bestaunen und darauf Probe sitzen :). In Cachi lernen wir auch José, einen Franzosen aus Marseille kennen, der für 6 Monate Südamerika bereist. Am Abend gehen wir gemeinsam auf einen Drink und staunen nicht schlecht, als auf einmal Falcos „Jeanny“ aus den Lautsprechern tönt! Wie dieses, unser Jugendlied den Weg in diese Wüste gefunden hat, es ist ein Rätsel… das tut unseren Emotionen keinen Abbruch – wir genießen und heben gleich ein Bierchen mehr :). Mit José machen wir dann aus, dass er doch mit uns fahren kann. Er wird uns also für die nächsten Tage begleiten und wir staunen nicht schlecht, wie gut er mit seiner kleinen 200 ccm Chinesin vorankommt.

Von San Antonio de los Cobres führt uns nun, nach vielen Kilometern mehr oder weniger schwieriger Erdstraßen, der Weg über eine perfekte sich geschmeidig durch die Berglandschaft schlängelnde, Asphaltpiste bis nach Salta und von dort weiter Richtung Purmamarca, wo wir einen, in sieben Farben erstrahlenden Hügel bewundern dürfen (ich finds zwar ned so aufregend, aber ne Touristenattraktion ist es halt 🙂 …).  Danach erreichen wir den Salzsee „Salinas Grandes“. Noch nie hatte ich so etwas gesehen und wir verbringen gut zwei Stunden, um Fotos zu machen :). Es ist einfach wunderschön, und das Wetter spielt auch mit. Nur in der Nacht wird es bitter kalt – einmal, als ich am Morgen mein Motorrad starte, zeigt mit die Anzeige -17°C an…!

Die Fahrt führt nun, nach einer neuerlichen Planänderung nicht direkt nach Bolivien, sondern über den Paso de Jama wieder zurück nach Chile und dort bis nach San Pedro de Atacama. Von Anfang an wollten wir die Atacama queren und somit Teil er berühmten Dakar Rally sein, die seit 10 Jahren durchgehend von KTM gewonnen wurde! Und so soll es nun auch sein :). Die Fahrt reiht sich nahtlos ein, in das was wir die letzten Tage betrachten durften und unsere mittlerweile schon ungläubige Frage: „Can it get any better?“ wird wieder und wieder mit einem lautem „JAAAA!“ beantwortet. Dieser Streckenabschnitt führt uns abermals an Salzbecken und farbigen Bergen vorbei, durch Vulkanlandschaften, Wüstenabschnitte und so weiter und so fort… mir fehlt an dieser Stelle der Wortschatz, um die Schönheit der Landschaft in Details zu fassen und es würde auch nur wenig Sinn machen, man muss es mit eigenen Augen sehen und mit dem eigenen Herzen fühlen, um es zu verstehen!

Wir bleiben einige Tage in San Pedro, da ich mich schon seit einiger Zeit mit einer hartnäckigen Verkühlung herum plage, die einfach nicht abheilen will. Die kalten Nächte und die anstrengenden Fahrten helfen mir dabei auch nur wenig. Nach 4Tagen der Erholung geht es dann wieder weiter.Von San Pedro wollen wir eigentlich direkt bis zur ca 300 Kilometer weiter nördlich gelegenen Grenze zu Bolivien gelangen, doch weit gefehlt.

 

Auf halbem Weg wird uns erklärt, dass die weitere Strecke unbefahrbar ist und wir diesen Abschnitt umfahren müssen. Es ist das erste Mal auf dieser Reise, dass wir die Route ändern müssen! Das tut der guten Laune keinen Abbruch denn auch die Fahrt an diesem Tag bis nach Calama und am nächsten Tag, schließlich bis zur Grenze sind einfach nicht in Worte zu fassen…

 

 

…wie soll man das beschreiben, wenn man an gelb schwefelrauchenden oder durch frühere Ausbrüche wild verstümmelten Vulkanen vorbeifährt, die weiten Ebenen in grün, orange, gelb schillern oder man den Eindruck hat, man ist gerade auf dem Mond unterwegs? Wie, dass sich diese Landschaftsbilder in Salzlagunen spiegeln, in denen in aller Ruhe Flamingos nach Futter grasen? Ich kann es nicht, und werde es auch nicht versuchen… es ist ein kompletter Overload! Die letzten 10 Tage, von Cafayate bis zur Grenze mit Bolivien – ich werde das Gesehene nie in Worte fassen können, die überkochenden Emotionen beim Anblick dieser so unglaublichen und spektakulären Bilder nie vergessen! „Danke, danke, danke“ – dieser Gedanke ist mein treuer Begleiter auf unserer Reise… Durch die letzten Tage emotional komplett fertig, sind wir nun natürlich gespannt, was uns auf der anderen Seite der Grenze erwartet… Stay tunded!

 

404