Das schwarze Meer
Martin: Bereits kurze Zeit nach Abfahrt nähern wir uns dem Vulkan Erciyes Dagi (3.891m), dessen Hänge im Winter teilweise zum Skifahren genutzt werden. Auf einer schnurgeraden Strasse, links und rechts Weideland mit einer beeindruckenden Sicht auf den Vulkan überkommt es Sebastian wieder einmal und so schnell kann ich gar nicht schauen, ist er bereits abseits der Strasse und fährt wie wild im Gelände herum. Anfangs ein wenig unschlüssig, ob die Schotterstrasse letztens nicht genug für mich war, lasse ich mich dann doch hinreissen und ab geht’s in die Pampa. Der Boden ist sandig-weich, außer Gestrüpp und herumliegenden Steinen keine besonderen Hindernisse. Ich bin hin und weg, das macht echt Spaß!! Sogar voll beladen fegt die Maschine über fast alle Unebenheiten drüber weg, als ob sie gar nicht da wären. Vom Offroad Virus erfasst folgen wir dem Strassenverlauf eine Zeitlang im Gelände, bevor wir uns wieder auf Asphalt begeben, wo Sebastian einen Vogel, der in einem kleinen Häuschen gefangen ist befreit und damit den Vogel, den er vor kurzem mit seinem Seitenspiegel abgeschossen hat, wiedergutzumachen versucht.
Es geht weiter über eine gut ausgebaute Landstrasse zum Skigebiet mit hässlichen, zum Teil bereits vom Verfall bedrohten Hotels kommunistischen Baustils, über Kayseri, einer ebenfalls nicht sehr beeindruckenden Stadt, wo uns zum wiederholten Mal diesmal ein deutscher Türkei bis zur richtigen Ausfahrt vorfährt. Von da geht’s über langweiliges Flachland nach Boğazkale, wo wir übernachten. Boğazkale, früher Hattusa genannt, war übrigens die Hauptstadt der Hethiter und Ruinen und andere Anlagen sind in der ganzen Umgebung beliebte Wanderziele, nicht nur für die an Geschichte Interessierten. Eine der beeindruckendsten Hinterlassenschaften der Hethiter ist der erste geschichtlich dokumentierte Friedensvertrag, der 1259 vor Christus mit den Ägyptern abgeschlossen wurde und dessen Kopie heute in der UNO in New York für Inspiration sorgt (oder sorgen soll).
Am nächsten Tag erreichen wir endlich Samsung, nicht ohne davor von zwei türkischen Motorradfahrern auf einen Tee eingeladen zu werden. Samsung ist eine herbe Enttäuschung, hohe Betonbauten, ein großer Hafen, null Sommer, Strand und Sonne Atmosphäre. Wir fahren weiter und machen uns langsam auf die Suche nach einem Campingplatz. Bei Fatsa wird die Küste endlich schöner, auf der einen Seite geht’s runter zum Meer, auf der anderen Seite sind von Wäldern bewachsene Berge, die ins Landes innere kein Ende zu nehmen scheinen. Kurz danach fahren wir bei einer kleinen traumhaften Bucht (Belice Beach) vorbei. Es wird sofort umgedreht und uns beiden ist klar, hier wird übernachtet. 3 kleine Bars, eine Moschee, zwei nette auf einem Felsen aufgebaute Aussichtshütten, das wars. Unten angekommen, erlaubt uns einer der Barbesitzer unsere Zelte neben seiner Bar aufzustellen und Minuten später sind wir schon in den Kreis von ein paar türkischen Jugendlichen aufgenommen, die uns bei Lagerfeuer, dass mit LKW Reifen in Schuss gehalten wird, türkische Volkstänze vortanzt und zu deren Amüsement machen wir natürlich gleich mit. Der Sound kommt übrigens aus einem offenen Kofferraum eines Taxis. Einer der Jugendlichen kann gut Englisch und wird für unseren gesamten Aufenthalt unser Übersetzer.
Am nächsten Tag werden wir überraschender Weise von zwei Jungs mit einem Frühstück überrascht, bevor es zum Klippenspringen geht, die wir über eine Teils waghalsige Wanderung entlang der Küstenfelsen erreichen. Am Nachmittag bringen uns Kollegen von Trenkwalder Sebastians österreichisches Handy vorbei, dass seinen Weg über etliche Umwege endlich zu ihm gefunden hat (nicht nur, dass sie es vorbeibringen, damit wir es nicht abholen müssen, sie laden uns noch zum Essen ein und bringen uns zur Begrüssung auch noch ein Geschenk mit.. Irre). Da es zu regnen anfängt beschliessen wir noch eine Nacht zu bleiben, da wir aber bereits die Zelte abgebaut und im Regen nicht aufbauen möchten, erlaubt uns der Barbesitzer IN der Bar zu übernachten. Also, ich persönlich weiss nicht, ob ich 2 Wildfremde in meiner Bar, wo mein gesamtes Lager drinnen ist, übernachten lassen würde… die Menschen hier sind echt ein Wahnsinn!!).
In der Früh wird uns wieder Frühstück serviert und nach einem tränenreichen Abschied geht’s weiter nach Ordu, der türkischen Hauptstadt der Haselnüsse. Für die Nutella Freaks unter Euch, die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass ein Teil der Haselnüsse für Euren Frühstücksaufstrich von hier stammen. Die gesamte Küstenlandschaft ist traumhaft und bei Kesap können wir uns nicht mehr halten und beschliessen einen Abstecher in die Berge zu machen, wo sich angeblich eine schöne alte Griechisch-Orthodoxe Kirche befindet.
Denn sie wissen nicht was sie tun
Was wir natürlich nicht mitbekommen haben ist, dass genau hier zwei Tage vorher ein massives Unwetter zu Überflutungen und Murenabgängen geführt hat. Naiv fahren wir zunächst einer mehr oder weniger asphaltierten Strasse neben einem Fluss entlang, bevor wir feststellen, dass der Fluss teile der Strasse einfach weggerissen zu haben scheint. Kurze Zeit später wechseln sich Schlamm- und mit Schlaglöchern übersähte Schotterstrassen ab, bis wir ein kleines Dorf erreichen, wo es plötzlich steil bergauf geht. Von dem bisherigen Strassenverlauf etwas eingeschüchtert überlegen wir, ob wir, trotz wahnsinns Landschaft, umdrehen. Nach einen kurzen Gespräch mit einigen Dorfbewohnern wird die Überlegung schnell verworfen (no risk no fun), und weiter geht’s. In Serpentinen geht’s den Berg hinauf, das Fahren wird für uns beide zur echten Herausforderung.
Nach einer halben Stunde erreicht uns ein Taxi (keine Ahnung wie der da raufgekommen ist) und zu wir staunen nicht schlecht, als 2 der Dorfbewohner, die mit uns gesprochen haben mit einem in Berlin lebenden Türken aussteigen. Was passiert ist? Die haben unsere unsicheren Gesichter gesehen, haben schnell jemanden geschnappt der Deutsch spricht und sind uns nachgefahren, um sicherzugehen, dass wir ok sind. Der Berliner Türke ist sehr nett, aber nicht allzu glücklich, hat er doch in der Hauruck-Aktion glatt sein Kind bei seiner Schwiegermutter vergessen 🙂
Also ab jetzt haben wir ein Begleitfahrzeug, dass uns vorfährt… ganz was neues 🙂 Es geht weiter steil bergauf und kurz darauf, machts auf einem steilen Steinhang einen Knall und Sebastians Adventure (Spitzname Escargot) liegt ihm zu Füßen. Ist vielleicht nicht die beste Idee solche Sachen mit voller Beladung anzugehen 🙂 Ein paar Minuten später machts Eva-Dos Ecargot gleich und ich schaffe es gerade noch abzuspringen, bevor sie mir bei einer steilen Schlammstrassen-Passage unter dem Hintern wegrutscht. Aber was solls, beide haben wir keinen Kratzer erlitten und mit Sebastians Hilfe ist sie schnell wieder auf den Rädern. Also weiter geht’s.
Unsere Begleiter zeigen uns die Haselnuss-Sträuche und obwohl sie noch nicht ganz reif sind, müssen wir natürlich verkosten. Reif schmecken sie hoffentlich besser :-). Danach geht’s durch dichten Nebel weiter den Berg hinauf.. Sie führen uns zuerst zu einer alten griechisch-orthodoxen Kirche, die nach der Flucht der Griechen aus dem Gebiet in eine Schule umgebaut wurde. Teile der alten Fassade sind aber noch erhalten geblieben und man kann sich vorstellen, wie sie ausgesehen hat. Danach geht’s zu einer weiteren ehemaligen Kirche, ehemalig weil davon nur noch Teile der Mauern stehen. Am Weg dorthin merke ich, dass meine Konzentration nachlässt, und als es über einen Schotterweg bergab geht, knalle ich mit Eva-Dos gegen eine Steinmauer. Diesmal muss der rechte Seitenspiegel dran glauben.
Neben der ehemaligen Kirche leben türkische Bauern, die uns gleich auf Kaffee einladen und wir bestaunen alte Holzhäuser auf Stegen, die früher als Vorratskammer gedient haben und auf Stegen gebaut wurden, um sie vor tierischem Diebstahl und Schlangen zu sichern. Die Lanschaft runderhum ist ein Hammer! Mit Wäldern bewachsene Berge, teilweise in Nebel gehüllt, soweit das Auge reicht.
Unsere Pace Car bringt uns noch zur richtigen Abzweigung, von wo wir zurück zur Küstenstrasse Richtung Rize kommen. Komplett fertig aber überglücklich über diesen Abstecher erreichen wir – wiedermal – gegen Mitternacht Rize, wo wir mit ziemlichen Aufwand und der Hilfe eines weiteren türkischen Helfers ein Hotel finden. Rize an sich ist nichts besonderes und im Vergleich zu Ordu ziemlich hässlich. Allerdings was Ordu für die Haselnusslandwirtschaft ist, ist Rize für die Teeerzeugung. Mit einer Landschaft ähnlich wie Ordu, wird hier anstatt Haselnüssen Tee massenhaft angepflanzt.
Am nächsten Tag geht’s nach einem kurzen Abstecher in die schöne Berglandschaft rund um Rize zur georgischen Grenze, wo wir uns mit Raimund verabredet haben. Raimund hat uns über unseren Blog kontaktiert und nach Batumi, gleich hinter der georgischen Grenze eingeladen. Das haben wir natürlich nicht abschlagen können 🙂 An der türkischen Grenze warten wir über eine Stunde, weil wir a) nicht gewusst haben, dass hier jeder einfach sein Fahrzeug irgendwo stehen lässt und zum Schalter stürmt, um sich den Ausreisestempel zu holen (also brave Österreicher haben wir 20 Minuten brav in der „Schlange“ gewartet, bis sich ein netter Türke erbarmt hat uns zu zeigen wie das hier so läuft) und b) der Zöllner, wo alle hingerannt sind anscheinend just in dem Moment wo wir hingekommen sind, beschlossen hat, eine ¾ Stunde auf Pause zu gehen (ohne entprechenden Ersatz natürlich).
Auch die Türkei verlassen wir schweren Herzens und bleibt mir in Erinnerung als ein Land mit unglaublich reichen Geschichte, traumhaften Landschaften und wundervollen Menschen, deren Gastfreundschaft unbeschreiblich ist. Allen Menschen die wir kennen lernen durften bleibt nur eins zu sagen: teşekkür ederim (vielen dank)!
Gegen 8 am Abend (türkische Zeit) erreichen wir die georgische Grenze, nicht wissend, ob Raimund noch auf unser wartet. Aber das ist eine andere Geschichte… 🙂