Chile – la Carretera Austral
Sebastian: Unser letzter Artikel endete ja mit einem übermütigen Manöver meinerseits, dass zu einem Frontalcrash gegen eine Felswand führte. Ihr könnt Euch sicher vorstellen wie mir zumute war – eine Sache ist es durch Übermut einen Unfall beinahe schon zu erzwingen, eine andere Sache ist es allerdings damit womöglich den Rest unserer Reise aufs Spiel gesetzt zu haben. Innerlich auf den Knien wetzend entschuldige ich mich bei Martin schon mal im Voraus für die Folgen dieser Geschichte und bin ihm sehr dankbar, da er auch diese Situation gelassen hinnimmt und einfach als Teil des Ganzen akzeptiert…
Zum Glück war Martin auch nicht der Einzige der dieses Spektakel mit ansehen durfte. Auf dem Parkplatz an dem ich gewendet hatte, um die ganze Strecke eben noch einmal zu filmen hat gerade auch eine Familie gehalten, um die Sicht auf See und Vulkan zu genießen, als sie den krachenden Lärm meines Einschlages hörten. Der Familienvater und zwei seiner Söhne laufen sofort zu mir und helfen mir, die herumliegenden Teile des Bikes zusammenzusammeln und fragen mich ob alles in Ordnung ist. In der Folge organisieren sie einen Pickup, der uns vorerst in die nächstgelegene Stadt, Panguipulli, bringt. Dort kommen wir dann auch relativ günstig in einem Ferienhäuschen unter. Der erste Schock ist nun verwunden und nach einem eher bescheidenem Abendmahl und einem noch bescheidenerem Bier (Chile ist tatsächlich keine kulinarisches Highlight, darauf wurden wir ja schon hingewiesen) heißt es nun gute Nacht und abwarten wie die Schadensanalyse am nächsten Tag ausfällt.
Wie am Vortag ausgemacht werde ich nun sogar noch bis nach Temuco chauffiert wo sich der nächstgelegene KTM Händler befindet. Die Fahrt verläuft für mich gemütlich. Martin hingegen, der ja mit dem Motorrad fährt, muss zu dieser frühen Stunde (wir sind vor 8.00 Uhr losgefahren) doch ziemlich mit den niedrigen Temperaturen kämpfen, während ich mir im Auto noch verschlafen die Augen reibe und nett mit dem Fahrer plaudere. Als wir ankommen bin ich dann recht erlecihtert, als ein netter KTM Mechaniker mein Bike vom Wagen hievt und sich kurz ansieht. Mir ist es immer besonders wichtig, dass ich die Person, die an meiner Maschine schrauben wird auch „riechen“ kann 🙂 .
Vor seiner Analyse habe ich dennoch ein wenig Angst. Auf den ersten Blick schaut meine Lady ja wirklich schlimm aus: der linke Tank (die Adventure hat 2 Tankhälften) ist komplett ausgerissen und gut 20 cm nach hinten versetzt, die Front ist komplett ab, das Cockpit ist in der Mitte durchgebrochen und der Kühler hatte an der Unfallstelle auch das gesamte Wasser verloren. Weiters sind noch das Kupplungs- und ein weiteres Kabel abgerissen sowie beide Halterungen für das Gepäcksystem komplett verbogen und deren Schrauben ausgerissen… Als ich dem Burschen dann auch noch erkläre, dass wir budgetär echt knapp dran sind und ich eine „billige“ Reparatur erhoffe, bin ich mir sicher, dass er einen Lachkrampf haben wird und mich für komplett verrückt hält. Doch er beruhigt mich mit seiner Aussage, dass es gar nicht so schlimm aussieht und er denkt, dass er fast alle Teile reparieren kann, also nicht austauschen muss. JUCHUUUU ist mein erster Gedanke und auch mein zweiter und mein dritter!
Die gesamte Wiederinstandsetzung meiner kleinen geliebten Escargot dauert im Endeffekt fast eine Woche und kostet mich, auch dank der Unterstützung von KTM, nur rund 300 Euro – ein niedriger Preis für eine große Dummheit… während dieser Zeit erleben wir dann wieder, wie jede Situation – auch wenn sie noch so negativ scheint – positiv enden kann. Als ich nämlich am zweiten Tag kurz beim Händler vorbeischaue, um zu sehen wie es vorangeht, lerne ich Gerardo, einen Chileno-Brasilianer kennen, der es sich gerade auf Martins Maschine gemütlich macht.
Er selbst fährt eine Honda Africa Twin und sei an einer KTM interessiert, so meint er :). Wir kommen ins Gespräch und ich schlage ihm vor doch am Abend auf einen Trink zu gehen. In diesem Moment ahnte ich noch nicht, dass Gerardo einer der bemühtesten und gastfreundlichsten Menschen ist, den man kennenlernen kann! Im Verlauf der Woche gehen wir mehrmals gemeinsam auf einen Drink, lädt er uns zu sich zum Essen ein, zeigt uns die Stadt, nimmt uns in die Disco mit und hilft mir bei kleineren Besorgungen. Durch ihn lernen wir dann auch die seit über 20 Jahren in Chile lebende „steirische Eiche“ Engelbert kennen, der uns ebenfalls zu einem Asado (Fleisch am Grill) einlädt und bei dem wir dann auch noch eine Nacht unterkommen. Alles in allem also eine tolle Woche!
Conguillo, (zu) kaltes Wasser und schon wieder der verfl*chte Pass
Als die KTM wieder startklar ist machen wir dann noch einen gemeinsamen Tagesausflug in den überwältigend schönen Conguillo Nationalpark in der Nähe Temucos wo man jeden Moment damit rechnet, dass einem Dinosaurier um die Ohren jagen, so prähistorisch wirkt die Landschaft! Nach diesem Trip verabschieden wir uns Richtung Süden wo wir in Kürze die Carretera Austral in Angriff nehmen wollen. Nach einer noch langen und kalten Nachtfahrt kommen wir in der Nacht in Frutillar an, wo ich dann den nächsten Herzinfakt erleide – meine Bauchtasche mit Pass, Geld und Kreditkarte ist SCHON WIEDER weg… ja kruzifix gibt’s denn sowas??? Nach kurzer Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass ich die Tasche nach meinem Blitzbad in einer Lagune im Nationalpark scheinbar nicht mehr umgeschnallt habe… vielleicht hatte mir das saukalte Wasser (gefühlte MINUS 273,15°C) wieder einmal mein Hirn paralysiert? Es bleibt mir also nicht anderes über, einen rund 800 Kilometer langen Tagesausflug gen Norden zu machen und die Tasche zu suchen – ist ja nicht so, dass ich es nicht schon gewohnt wäre…
Bevor ich losfahre habe ich auch noch Gerardo kontaktiert, der sich wiederum mit der Nationalparkadministration in Verbindung setzt, um auch die Burschen vor Ort schon zu bitten nach der Tasche zu suchen. Als ich endlich ankomme bin ich also guter Dinge, dass man mir mein Täschchen auf einem Silbertablett überreichen würde, doch weit gefehlt. Trotz intensiver Suche hat man nichts gefunden wird mir mitgeteilt… SCHLUCK!!! Bitte nicht! Im Gedanken setze ich mich nun immer intensiver mit den Folgen des verlorenen Passes auseinander, die da keine Guten wären :(.
Ich fahre dann auch noch selbst den gesamten Park ab. An der Lagune verbringe ich eine halbe Stunde und schaue mir jeden Fleck zehn Mal an, um sicher zu gehen, dass ich die Tasche nicht übersehe – NICHTS, NICHTS, … nichts…. Mir wird nun echt schon ein wenig mulmig, als ich die letzte Runde im Park drehe und auch noch einmal beim Chef des Nationalparks vorbei sehe. Er fragt mich dann noch eindringlich ob ich denn nicht irgendwann auch mal von der Straße abgefahren sei oder nicht?! „Ja, schon – aber dort kann ich die Tasche nicht verloren haben…“, denke ich mir. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf mache ich mich dann eigentlich schon am Weg zur nächstgelegenen Polizeistation als ich an einer der zwei Stellen vorbeikomme, wo ich am Vortag kurz stehen geblieben war, um ein Foto zu machen. Ich steige also vom Bike, gehe durch die pechschwarzeVulkanasche zu besagter Stelle und, und, UND??? Da liegt sie am Boden!!! Meine kleine, verlorene, mit Hundeblick auf mich wartende Bauchtasche!!!
In einer Art Rausch fahre ich nun den Rest des Parks ab, die Spannung die abfällt ist unbeschreiblich groß, ich juble, singe und brülle in meinen Helm, hopse auf der Maschine herum und muss mich ja dazu ermahnen, nicht im Übermut den nächsten Blödsinn zu machen und auf der Schotterstraße womöglich das Bike hinzulegen… Die Rückfahrt bis nach Frutillar – das nur einer von vielen Orten ist, wo man die Besiedlung von Bereichen Chiles durch Deutsche, Österreicher und Schweizer stark bemerkt („Hotel am See“, etc…) – ist nun um einiges angenehmer als noch die morgentliche Fahrt Richtung Ungewissheit, auch wenn ich halb erfroren und erst gegen Mitternacht dort ankomme. Am nächsten Tag machen wir noch blau, ich bin doch ziemlich vom Vortag geschafft, und genießen den Blick über den See bis zum gegenüberliegenden Vulkan. Auch hier ist es paradiesisch schön…
Durch meinen Unfall und das Pass-Malheur geht es nun mit rund 2 Wochen Verzögerung endlich auf die Carretera Austral, eine der berühmtesten Straßen Südamerikas und ein Begriff unter Motorradfahren weltweit. Sie liegt zwischen Puerto Montt und O’Higgins und erstreckt sich über gut 1300 Kilometer. Am ersten Tag müssen wir gleich eine Fähre nehmen (Chile ist im Süden ja komplett von Fjorden zerfurcht und viele Teile sind nur per Schiff zu erreichen) wobei Martin sofort einige Seelöwen erblickt. Die Fahrt dauert rund 45 Minuten während derer die Sonne gleißend im Meer untergeht. Wir fahren dann noch einige Kilometer bevor wir in Hornopiren halt machen, von wo wir am darauffolgenden Morgen die nächste Fähre nehmen müssen. Während dieser Fahrt wird es zunehmend neblig und es fängt ein wenig an zu regnen.
Nach dieser Fähre fährt man nur rund 10 Kilometer bis man schon wieder ein Schiff nehmen muss. Mittlerweile schüttet es stark und der Wind fegt uns um die Ohren als wir von Deck aus das brausende Meer beobachten. Es lohnt sich aber, denn nach kurzer Fahrt sehen wir neben dem Boot Delphine schwimmen! Ein herrlicher Anblick, der die widrigen Wetterverhältnisse vergessen lässt. Als das Schiff dann anlegt habe ich schon ein ungutes Gefühl was die Bikes betrifft – so stark wie das Schiff geschaukelt hat, befürchte ich, dass sie womöglich umgefallen sind. Und wie recht ich hatte, beide KTMs liegen in Löffelchen Stellung neben einander. Irgendwie süß :). Weniger lustig ist allerdings, dass es meiner Holden durch den Umfaller eine Schraube ausgerissen hat und nun die Kupplungsarmatur nicht mehr zu befestigen ist. Es schüttet wie aus Eimern während ich versuche, die Schraube doch noch irgendwie zu fixieren, doch keine Chance.
Im Endeffekt muss das altbewährte Duck-Tape herhalten und wir machen uns auf den Weg nach Chaiten, einer im Jahr 2008 von einem Vulkan eingeäscherten und in der Folge evakuierten Stadt, die mittlerweilen wieder teilweise bewohnt wird. Wir fahren mitten in der Nacht, bei Regen auf einer Schotterstraße… diese Variante hatte uns bis dato noch gefehlt :). Die Stadt wirkt wie eine Geisterstadt, jede Menge Häuser sind verlassen und als wir ein wenig herumspazieren sehen wir erst, dass die Vulkanasche bis in die Gebäude alles zugedeckt hat und die Menschen wohl spontan aus der Stadt flüchten mussten. Als wir an einer Hauswand: „Chaiten, ich liebe Dich, wir werden zurückkommen…“ lesen können wir die furchtbare Situation für die ehemaligen Bewohner ein wenig nachfühlen…
Den nächsten Zwischenstopp machen wir am Futelefu Fluss, wo wir – eines der seltenen Male – entscheiden zu campen. Der Platz ist einfach zu perfekt, im Flussbett unter einem Baum, Feuerstelle samt Baumstämme als Sitze schon angerichtet. Wir verbringen den Nachmittag mit dem Versuch uns einen Fisch zu fangen und scheitern kläglich. Ich muss nach 3 Minuten schon nackt ins eiskalte Wasser steigen, um meinen Angelhaken zwischen den Steinen herauszulösen und Martin, ja Martin stellt sich überhaupt als Meister seines Faches heraus als er beim zweiten Mal Auswerfen die Schnur nicht festhält und sich dieselbe inklusive Haken auf Nimmerwiedersehen verabschieden… Naja, wenigstens lustig war es, aber am abendlichen Lagerfeuer heißt es dann mit den Frankfurtern vorlieb zu nehmen, die wir schon sicherheitshalber eingekauft hatten 🙂
Am nächsten Tag geht es weiter durch die atemberaubend schöne Landschaft bis es dann DOCH NOCH passiert! Martin hat einen Platten, ich kann es nicht glauben. Nach 9 Monaten und zig Tausend Kilometern ist es nun passiert (ich halte zu diesem Zeitpunkt ja schon bei 5 oder 6 platten Schläuchen and more to come!) und wir können es beide kaum glauben :). Martin fährt seine Eva² zurück zu einer Käserei wo wir das Rad ausbauen und ich mich auf den Weg zu nächsten Ortschaft mache, um dort den Schlauch flicken zu lassen. Denkste… der Bursche meint doch glatt, er wüsste nicht wie er den Reifen von der Felge bekommt, er kann das nicht machen :o! Ich also zurück und treffe Martin (wie üblich) schon herzlich mit ein paar Burschen plaudernd an.
Nachdem ich ihm das Problem erläutere, entscheiden wir es auf eigene Faust zu versuchen – Martyn, unser britischer Gastgeber in Santiago hatte uns stolz einen Trick verraten, den wir sogleich mal einem Test unterziehen! Meine Maschine wird dafür auf den Hauptständer gehievt und der Seitenständer ausgeklappt. Danach wird Martins Rad so unter meinen Seitenständer gelegt, dass eben dieser den Reifen von der Felge drückt als wir mein Bike einfach seitlich kippen… Und es funktioniert blendend! Ich muss dann noch einmal mit dem Schlauch zum Reifenflicker bevor wir wieder losziehen. Natürlich nicht bevor wir bei der Käserei noch auf Tee und gebackene Mäuse (gebackener Teig) mit Marmelade eingeladen werden (yammi, das war richtig gut!).
Langsam aber sicher nach O’Higgins
Die Nacht verbringen wir dann in der Garage einer Familie deren Miethäuschen eigentlich schon ausgebucht waren. Die zuständige Dame interpretiert meine Aussage, dass hier ja alles sauteuer sei, Gott sei Dank richtig und bieten uns eben diese Schlafmöglichkeit kostenlos an – danke! Duschen und Frühstücken dürfen wir in Ihrem Privathaus und verlangen tun sie auch nur etwas als wir uns aufdrängen – unglaublich nette Leute!!! Der nächste Tagestrip bringt uns dann bis nach Cerro Castillo wobei es langsam schon ein wenig schwierig wird Worte für Natur und Landschaft zu finden. Es ist einfach eine never ending Story an schönen Momenten 🙂 Als Highlight kann man eventuell noch eine Polizeikontrolle erwähnen, die allerdings nur ein Planquadrat war und deshalb problemlos abläuft. Die Burschen fragen uns natürlich aus was wir denn so tun und lassen sich auch gerne fotografieren bevor wir weiterziehen dürfen :).
Im selben Rhythmus geht es nun weiter. Auf dem Weg gen Süden passiert uns dann noch etwas Erwähnenswertes: Martin baut fast seinen ersten Unfall… Als er eine Linkskurve auf der Schotterstraße zu weit innen nimmt, kommt ihm auf einmal ein Jeep entgegen, dessen Fahrer wild den Lenker verreißen muss, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden und dem ich, hinter Martin fahrend, auch nur knapp entkomme. Der Typ steigt sofort aus und knöpft sich, sagen wir mal verständlicherweise, Martin vor. Ich höre aus ein paar Metern Entfernung zu und denke mir ich muss Sand in den Ohren haben als ich statt Spanisch reinstes Wienerisch vernehme… :o! Es stellt sich heraus, dass hier drei Wiener per Jeep ihren Chile Urlaub verbringen. Wie bei der für Wien bekannten Mentalität nicht anders zu erwarten beschränkt sich der Herr auf seine Flucherei und lässt Martins 10 Versuche, sich zu entschuldigen, nicht gelten. Davon, dass er uns hilft das Bike aus dem Graben zu ziehen, in dem die Maschine nach der Aktion nun steckt, wollen wir nicht einmal reden. Wir drehen uns gerade mal zwei Sekunden um, da sind die Burschen auch schon unterwegs und wir kämpfen, um die schwere Lady wieder fahrbereit zu machen.
Am selben Abend haben wir dann auch noch Glück als wir an dem für diesen Tag gewählten Etappenziel ankommen und dort eine Unterkunft suchen wollen. Es regnet, es ist dunkel und es stellt sich heraus, dass es hier außer der Andockstation für die letzte Fähre auf dem Weg nach Süden genau gar nichts gibt. Nach kurzem Zögern beschließen wir mal auf der Fähre (die scheinbar die Nacht an Dock liegt) zu fragen, wo man hier den schlafen könnte und werden im Endeffekt vom Kapitän dazu eingeladen doch auf der Fähre zu nächtigen, was wir dann auch im schön geheizten Aufenthaltsraum tun.
Am nächsten Morgen wird dann die letzte Wasserhürde an Bord des Schiffes genommen, bevor wir die letzten 100 Kilometer dieser berühmten Strecke genüsslich zu Ende fahren und in Villa O’Higgins ankommen und die Bewältigung der Carretera Austral zelebrieren. Dort passiert dann allerdings nicht mehr viel – der Ort ist rekordverdächtig unspektakulär – weswegen wir nach 2 Tagen der Erholung wieder den Rückweg antreten um eine Tagestour weiter nördlich den Roballo Pass Richtung Argentinien zu kreuzen, aber das ist schon wieder einmal eine andere Geschichte – oiso, stay tuned!